Diese Mail erreichte mich vor einigen Tagen:

Liebe Martina,

ich hatte versucht dich heute Morgen zu erreichen, aber du warst nicht da. Vielleicht kannst du dich mal bei uns melden.

Wir müssen mit Luna dringend Einzeltraining machen. Sie ist ja nun 9 Monate alt und sie zeigt leider einige Eigenheiten, die uns Sorgen machen. Sie lässt sich von Fremden ungern anfassen, geschieht dies auf Spaziergängen, knurrt sie die Menschen an. Zu Hause bellt sie, wenn sie hört, dass ein Besucher an die Haustür heran tritt – noch ehe dieser geschellt hat. Wenn sie eintreten, ist sie außer sich, springt sie an und kommt auch danach nicht zur Ruhe, bis sie wieder gehen. Sie mag keine Besucher und zeigt es ihnen auch deutlich.  Insgesamt ist sie nicht so gelassen und freundlich, wie wir es uns gewünscht hätten.

Tja, da haben wir nun den Salat. Eine nette Familie hat sich einen netten Hund ausgesucht, sehr hübsch und eigentlich sehr lieb. Er gehört einer Rasse an, deren Angehörige nicht „Everbody’s Darling“ sein möchten. Welche Rasse dies ist, verrate ich nicht, denn es gibt hiervon eine ganze Reihe. Es gibt aber auch sehr viele Mischlinge unterschiedlichster Herkunft, die so sind wie Luna. Wie gesagt – ich finde sie sehr lieb, sie hat auch keine Probleme, zumindest noch nicht, aber die Besitzer sehen das so. Es sind die Besitzer, die ein Problem damit haben, dass ihr Hund nicht „Everybody’s Darling“ sein möchte.

Die meisten Menschen hätten am liebsten einen Partygeck, einen Schmusebär und vor allem einen schlauen Hund, der nur bellt, wenn ein Einbrecher vor der Tür steht und der dann sagt: „Timmy, laufe du in den Garten und hole Hilfe, ich werde aufpassen, dass dir niemand folgt.“ Alle wollen einen Hund wie Lassie. Und darum ist Lassie schuld daran, dass viele Menschen unglücklich sind, einen Hund zu  besitzen, der nur ein Hund ist. Dabei übersehen sie, dass sie  nicht Timmy heißen und auch nicht auf einer Farm leben.

Lassie hat unser Bild von einem perfekten Hund geprägt. Doch leider – oder vielleicht auch glücklicher Weise – gibt es solch einen Hund nicht in Wirklichkeit. Die meisten Hunde sind eher das Gegenteil von Lassie. Viele sind scheu und lassen sich von Fremden nicht gerne betätscheln. Warum auch muss es sich jeder Hund gefallen lassen, von jedem Vorbeilaufenden gekrault, womöglich noch ständig über den Kopf gefasst zu werden? Die gleichen Menschen würden dies bei anderen Menschen nie wagen.

Oft werden Hunde aus genau diesem Grund handscheu, weil sie ständig von jedem angefasst werden. Vor allem Kinder lieben es, Hunde zu kraulen und wir Erwachsene können es ihnen so schlecht abschlagen, „einmal“ den Hund zu streicheln. Keine Frage, manche Hunde mögen es, manche haben nur ein geringes Problem damit – aber manche entwickeln auf Dauer eine Abneigung gegenüber Berührungen. Es gilt also, unseren Hund vor aufdringlichen Menschen zu schützen ehe er glaubt, dies selbst in die Pfote nehmen zu müssen. Was ist dabei, Besucher und Vorbeilaufende zu bitten, den Hund komplett zu ignorieren? Er kann nicht für sich sprechen, also müssen wir es tun.

Es gibt noch andere Dinge, die wir unserem Hund aufdrängen, nur weil wir es gerne hätten, dass er dieses macht oder jenes lässt. Häufig vermenschlichen wir unseren besten Freund damit und verursachen bei ihm Stress und Frustration, die nicht nötig wäre. Vielleicht sollten wir alle in einer ruhigen Minute darüber nachdenken, wie oft wir von unserem Hund erwarten, Lassie zu sein und damit seinen eigenen Charakter und seine Identität aufzugeben.

Wenn ich einen wachsamen Hund in die Familie aufnehme, muss ich mich nicht wundern, wenn er seinen Job macht. Genauso macht ihn ein Jagdhund. Und wenn ich einen Hütehund mit großem Hütetrieb habe, könnte es durchaus passieren, dass er regelmäßig die ganze Familie – „seine Herde“ – in der Küche zusammentreiben möchte. Gewährt man ihm dies nicht, wird er neurotisch.

Dies ist übrigens ein realer Fall. Der Hund war ein Border Collie. Einige Umstellungen im Alltag und im Training mit ihm haben vieles verbessert und sie gefielen ihm auch.  So wollte er zum Beispiel nicht essen. Er war extrem mager. Wir haben alles versucht, er rührte seinen Napf nur im Notfall an. Dann haben wir den Napf versteckt, er durfte ihn suchen und siehe da ... er aß mit großem Appetit den Napf leer. Dabei blieb es viele Jahre lang. Dieser Hund wollte einfach nur irgendetwas arbeiten. Essen war nicht wichtig. Ohne Arbeit war das Futter nichts wert, nach dem Suchen war es ein wertvolles Gut und er war froh, es gefunden zu haben.

Aber dieser Border bestand weiterhin vehement darauf, ein Mal täglich seine vierköpfige Menschenfamilie zusammen zu treiben. Wir haben das Problem wirklich so gelöst, dass sich die Familie vor dem Frühstück umkreisen ließ und in eine Ecke stellte. Das dauert nur wenige Sekunden und reichte dem Hund für den Rest des Tages. Er war ganz offensichtlich damit zufrieden und ausgeglichen. Verbot man es ihm, fand er den ganzen Tag lang keine Ruhe. Mit unserer Lösung wurde er ein ganz normaler Hund. Die Familie hat entschieden, dass dies einfacher ist als eine Herde Schafe zu kaufen.

Das Leben besitzt seinen eigenen Humor: Dieser Hund hieß Lassie.

Herzliche Grüße

Ihre Martina Nau

und das ganze Baak-Dogwalker-Team